Die Reise in die Angst

von Gudrun Graf (Kommentare: 0)

Aricia

Angst

Aricia war sich nicht sicher, er war, wie es ihm schien, ein normaler kleiner Junge gewesen. Er hatte mit seinen Kameraden viel Spaß. Besonders freute er sich, über die Reitstunden. Er konnte sich an unheimliche Momente erinnern, aber er hatte auch gelernt, diese mit seinem Willen zu bezwingen. Was war Angst, so fragte er sich. Als sie ihn aussetzen? Er war unglücklich gewesen, doch Angst, eher wütend und einsam. Er hatte einen weiten Weg hinter sich und bei der alten Frau Zuflucht gefunden. Sie hatte ihn gepflegt und wieder aufgepäppelt. Sie war eine unheimliche Gestalt und A. konnte sich vorstellen, dass Menschen vor ihr davonliefen. Wie in seinem Dorf der weise Mann ja auch nur in Ausnahmefällen aufgesucht wurde.

 

Die Alte hatte ihn geheißen, vielerlei Arbeiten zu übernehmen. Am meisten Spaß machte ihm die Gartenarbeit. Er sprach dort bei Sonnenaufgang mit den einzelnen Pflanzen. Es war, als ob die Pflanzen antworteten. Ihre Farben wurden intensiver und um ihr meist grünes Kleid bildeten sich Wellen in Regenbogenfarben. Die glänzten und strahlten und A. lachte sie freundlich an. Wie ein Raunen ging es durch das Gärtlein und manchmal schien es sogar, als ob sie zur Begrüßung mit den Köpfen nickten. Stundenlang verbrachte er im Garten und spielte mit den Tieren. Er sah auch die Alte aus dem Fenster über ihn wachen und es schien ihm, dass über ihrer furchterregenden Gestalt ein freundliches Licht strahlte.

 

A. wusste nicht, wie lange er schon bei der Frau verbracht hatte, es musste eine schrecklich lange Zeit gewesen sein. Er war groß geworden, zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihn anwies, sich auf die Suche nach seiner Angst zu machen.

 

*

 

Er machte sich auf den Weg. Es war finster in der Höhle und freiwillig war er sicher nicht hier. Aber er wusste, dass er sein Wort halten musste, sich dieser Aufgabe stellen, die die Alte ihm aufgetragen hatte.

Er tastete sich vor und war ganz erstaunt, als er in der Ferne plötzlich einen leichten Lichtschein wahrnahm. Aus der Höhle führte tatsächlich ein Gang, an dem stellenweise Fackeln befestigt waren. So, wie ihm Mut zu machen, weiterzugehen. Er verlor alles Zeitgefühl und ging die leicht hinunterführende Herausforderung entlang. Er bog um Ecken und musste sich ducken. Bald wurde der Gang enger und enger. Er spürte auch, dass die felsige Wand feucht war, als er streifte und als er einmal Halt suchte, fühlte sich die Wand glitschig an, und kalt. Er war unruhig und fragte sich, was das soll, wer hatte die Fackeln angebracht. Doch die auch kindliche Neugierde siegte über die Furcht und weiter ging's. Inzwischen robbte er und seine Kleidung war feucht und modrig. Enger und enger schien der Gang zu werden. Bald war ihm, als ob auch die Luft weniger würde und es war keine Frage eines Haltens eines Versprechens mehr, oder kindlicher Neugierde. Es war etwas Unbekanntes, das ihn weitertrieb. Eine Seite, die er von sich noch nicht kannte, die ihn ergriff, und ihn machtlos auslieferte und er hatte, so einen Vorgeschmack von Angst. Und wie ein Sog ging es vorwärts, ja nach rückwärts konnte er nicht mehr. Dann war ihm, als ob er steckte, ein Gefühl des nicht mehr vor noch Zurückkommens und er strengte sich an, wollte aufgeben, war schwach und für eine Zeit verlor er sogar das Bewusstsein, doch dann war er plötzlich durch und röchelnd holte er nach Luft und fand sich erstaunt in einer  Halle wieder, die von Fackeln beleuchtet war.

In der Mitte stand ein Korb mit Kräutern. Er setzte sich neben den Korb au den Boden und versuchte wieder zu Atem zu kommen, sich zu beruhigen. Er lauschte eine Zeitlang seinen eigenen Atem, das, wie er wusste, ihn sehr beruhigte. A. blickte sich um und stellte fest, dass er den Punkt in der Felsenspalte nicht mehr finden konnte, an dem er hereingekommen war. Es hätte eine bestimmte Richtung sein müssen. Beunruhigt schaute er um sich. Es war nichts zu sehen. Er war eingeschlossen! Soll das das Ende sein?! Die Kräuter begannen zu leuchten und nickten mit ihren Köpfen. Er verstand. Er nahm ein Blättchen in den Mund und kaute daran. Es war ein bitterer, saurer Geschmack, doch beruhigend und ermutigend. Er fühlte neue Kräfte aufsteigen, je mehr er davon kaute. Und als er aufblickte, sah er plötzlich eine große alte eichenes Tor vor ihm mit rostigen Eisenbeschlägen. Er sah auch die Worte, die über dem Tor eingraviert waren:" Meine Angst" stand da.

Deshalb war er gekommen. Das war die Aufgabe, die ihm die Alte gestellt hatte. Das Abenteuer, durch das er musste, bevor er sie verließ um, so hoffte er, wieder heimkehren zu können. Doch jetzt hatte er keine Zeit sich in seiner Sehnsucht und Einsamkeit zu verlieren, er hatte eine Aufgabe, die es galt, durchzustehen.

 

Er stand auf und versuchte die Tür aufzumachen. Da ging nicht. Sie war fest eingerostet und auch als er sich dagegen warf, ging sie keinen Millimeter auf. Er verstand, dass auch erwachsene Männer dies nicht so leicht schaffen würden und steckte sich noch ein Blatt zwischen die Zähne. Er kehrte zur Mitte des Raumes zurück und steckte sich ein Büschel des Krautes ein. Dann fixierte er das Tor und konzentrierte sich. langsam ging es auf und er huschte durch.

 

Todesstille. Dunkelheit. Das Tor schloss sich wieder. Etwas griff nach ihm. Es war eine knochige Hand. Entsetzt schrie er auf und wollte davonrennen. Doch in der Dunkelheit konnte er nichts sehen und so stolperte er über etwas Felliges, das böse knurrte und dann liefen ihm Ratten über das Gesicht. Aus der Totenstille war bald  Höllenlärm geworden. A. schrie und als er die knochige Hand wieder spürte, machte sein ohnehin schon wild pochendes Herz noch einen Sprung und er glaubte sterben zu müssen. Doch dann spürte er, wie die Hand sich ihm anbot, ihm auf die Beine zu helfen und er versuchte, sich wieder zu beruhigen, zu atmen. Er hatte Angst. „Wer seid Ihr?" fragte er fast schreiend. „Deine Schuld, Deine Schuld, Deine tiefe, tiefe Schuld" kam es aus tausend verschiedenen Ecken tief und beständig. jetzt empfand es A. fast als Gnade, dass er an diesem schrecklichen Ort nicht alles sehen konnte, was er aber durch die Laute erahnen und hören konnte. „Ich bin doch nur ein Kind" brüllte er. „Wir sind deine Schuld, Deine Schuld, Deine tiefe, tiefe Schuld" kam die Antwort. A. wandte sich um, er wollte fliehen, doch konnte er in der Dunkelheit das Tor nicht mehr finden. Die knochige Hand legte sich um seine Schultern und eine hohle Stimme hieß ihn willkommen. Trotz der Unheimlichkeit des Ortes, flößte die Stimme Vertrauen ein. „Danke", so sagte die Person, die sich hinter der hohlen Stimme und der knöchernen Hand verbarg, „danke, dass du gekommen bist! Du hast uns, sehr mutig und richtig, gefragt, wer wir sind. Wir sind die Schatten Deiner Vergangenheit!". A. machte einen Schritt zurück und spürte wieder zotteliges Fell von allen Seiten und Zähnefletschen und Knurren. „Mein Gott" entfuhr es ihm, „was wollt ihr von mir, warum bin ich hier?" . „Du bis ein mutiger Junge, A., du bist zu uns herabgestiegen, um uns heimzuholen, hinauf in dein Bewusstsein!". A. verstand nicht, was die Person meinte. Doch das Wesen musste um seinen Zustand gewusst haben, denn es drehte A. sanft schaukelnd im Kreise, den rechten Fuß vor, den linken zurück. Immer weiter immer weiter. Wie in Trance glitt er schließlich auf den Boden.

 

 Er schaute genau in die Augen eines Wolfes. Ein gelbes, böses Funkeln und ein Aufschrei des Schmerzes! Der rechte Arm abgerissen, Reste von triefenden Blutfetzen hingen an ihm herunter. Doch der Blick des Wolfes ließ ihn nicht los und er sah sich plötzlich mit einer Maus spielen, es waren diese bösartigen Kinderspiele. Er quälte das Tierchen zu Tode und spürte gleichzeitig, wie eine Schar Mäuse  und Ratten über seine Füße liefen. Er fühlte keine Panik, keinen Hass, es war ihm nur, als ob seine Seelenaugen immer größer würden und Bild folgte nach Bild. Er erinnerte sich plötzlich an alles! Aber nicht nur, dass er sich erinnerte, er sah auch alles. Er war Bettler gewesen und König, Folterknecht und Friedensarbeiter, Frau und Mann wechselnden sich ab. Teufel und Engel genauso wie Magier und Hexer. Heiler wie Inquisitor. Seine äußere Erscheinung änderte sich den jeweiligen Umständen entsprechend, da waren Bilder von fernen Planeten, friedlich sowohl als auch angsteinflößend und auch alles vertraut. Abwechselnd Tier und Mensch, je nach Lernprogramm. Und wie ein roter Faden ging eine Geschichte durch die ganzen Bilder, eine Geschichte, die er nicht so ganz verstand, die es wohl noch zu entdecken galt. Es ging um ihn, nur um ihn, das verstand er. Wie ein Blitz traf es ihn, wie er spürte, das Paradies und Hölle das Gleiche waren! Der Schmerz, die Angst und die Erlösung von gleichem Ursprung. Das alles Eins war, das wusste er.

 

Es war eine lange Reise, die A. durchlief. In allen bunten Farben, hellen und dunklen. Die Greueltat seiner Seele hatten tiefe Wunden hinterlassen bei den anderen genauso wie bei ihm selbst. Schmerzhaft wurde ihm sein Arm bewusst. Er fasste hin und war erstaunt, dass er da war. Er riss die Augen auf und sah in wunderbare grüne Augen. Ein liebliches Gesichtchen und ein Mund, der ihn anlächelte: „Willkommen", sagte dieser Mund. Ein Kerzenschein umhüllte das junge Mädchen. Erstaunt nahm er wahr, dass der Arm ganz war, er sich jedoch noch immer in der Höhle befand, hinter der großen eichenen Tor. Das Zähnefletschen und Knurren und das bedrohliche Hin- und Herlaufen der dunklen Kleintiere hatte aufgehört. Skelette lagen wie fein säuberlich aufgeräumt in einer Ecke. Fledermäuse hingen in den Felsenritzen. Schlangen bewachten ihre Nester und Spinnen und Skorpione gingen ihren Beschäftigungen nach Futtersuche unbekümmert nach. Ein unheimlicher Platz. Eine Hundemeute hatte sich viel zu erzählen, Hyänen hielten sich im Hintergrund und der Wolf hatte seinen Kopf vertrauensvoll auf A. Bein gelegt. A. konnte gar nicht anders, als seinen Kopf zu streicheln. „Was wollen die von mir?" flüsterte A. dem Mädchen zu. Diese lächelte jedoch nur ihr Lächeln und machte eine Andeutung, indem sie mit ihrem feinen Kinn zum Wolf hindeutete. „Ihn soll ich fragen? Ist er der Sprecher!". Sie lächelte und hielt die kleine weiße Kerze. „Warum ich da bin, habe ich nun verstanden, doch was wollt ihr von mir?" . „Wir sind ein Teil von dir, A., wie du erkannt hast.  Du hast das Glück, dich an uns erinnern zu können. Dieses Glück haben sehr viele Menschen da oben nicht. Sie sind ihren Ängsten ausgeliefert. Wie alle Symbole, sind auch wir dazu da, Dich zu läutern, dich auf den Weg zum Licht, zu Gott zu bringen. Zurückzubringen zum Ursprung. Du hast schon begriffen, dass alles Eins ist, das ist viel mehr , als die meisten  von uns in einem Leben wirklich begreifen können. Trotzdem sind wir nicht im Ganzen, wir sind herausgefallen, herausgefallen aus dem Paradies. Du bist unterwegs, so viele Bruchteile wie du nur kannst, wieder einzusammeln. Um sie dem Licht, Gott, den Göttern, dem Ganzen wieder zuzuführen. Dazu gehören auch wir. Dich an deine Schattenseiten zu erinnern, sind wir da. Du hast den Mut gehabt, herunterzusteigen, dich an uns zu erinnern. Wir bitten dich, uns mit dir ins Licht zu bringen!". Tränen flossen aus A.s Augen . Er fühlte den Schmerz in sich, es war, als ob es ein Kollektivschmerz war. Das Mädchen nickte leicht. Es hatte seine Gedanken gelesen. Wir fühlen alle dasselbe, auch ich bin ein Teil von Dir, ich bin das kleine weibliche Kind in dir, A., wir gehören zusammen, daher bin ich hergeeilt, um ein wenig Licht auf die gemeinsame Sache zu werfen.

 

Das verstand A. plötzlich, die Gedanken des Mädchens für sich übersetzend, während er ihr in die Augen schaute. Sie wies mit der Hand zum großen Tor. A. stand auf und gleichzeitig lösten sich große dunkle Gestalten im Hintergrund von den Wänden. Es waren riesige hässliche Monster, die er noch gar nicht gesehen hatte, so dunkel waren diese Gestalten.  Unruhe überfiel ihn wieder. Da war wohl noch mehr, als er geahnt hatte, mehr, ja viel mehr, als er überhaupt wissen wollte! „Nimmst du uns mit nach oben?" fragte der Wolf leise. A. krallte seine Finger in das dicke Fell des Tieres. „Kommt!" sagte er mit zitternder Stimme, „Folgt mir!".

 

Das Mädchen leuchtete ihnen den Weg aus. A. ging voraus und hinter ihm ein ganzer Rattenschwanz an mehr oder weniger für Menschen wohl unheimlicher Tiere. Sie kamen in die Felsenhöhle und das Mädchen machte ein symbolisches Zeichen mit der Kerze und im Felsen wurde der Gang sichtbar, durch den A. vor, wie es ihm schien, ewiglanger Zeit gekommen war. Der Aufstieg war wesentlich müheloser und rasch kamen sie dem Eingang näher. Schon fiel Licht auf die Felsenwände und stetig  ging es aufwärts. Je mehr Licht auf die Kreaturen fiel, um so schöner wurden sie, eine Aura von Regenbogenfarben umhüllte sie und langsam, A. sah es etwas verschwommen, konnte er das Mädchen und die Tiere nicht mehr sehen. Vollends ins Licht und aus der Höhle getreten, waren sie verschwunden. Doch A. wusste, dass sie da, bei ihm waren. Er lief zur Hütte der alten Frau und wurde von einem fröhlichen Blöcken von Schafen begrüßt. Eine Herde weißer Schafe, wo waren die hergekommen, fragte sich A. Doch dann verstand er, die Schafe hatten alle die gleiche Ausstrahlung wie die Tiere, die seine Freunde geworden waren. Die Alte, die Ausstrahlung des kleinen Mädchens. Er wagte nicht, die Alte zu umarmen, doch wie in einem Freudentaumel warf er sich, Kind wie er war, zwischen die weißen Schafe und spielte mit ihnen.

 

Das Abendessen aus frischem Gemüse und köstlichen Früchten war wundervoll. Er war froh, wieder zurückgekehrt zu sein. Er war froh, seine Angst kennen gelernt zu haben. Und so schlief er und träumte von einem wohlvertrauten Wolf, der einsam in den Bergen heulte, ihn rief, ihn verstand, mit ihm sprach, da war, für ihn. Er wagte nicht davon zu träumen, ob alle Kreaturen mit ihm an die Oberfläche gekommen waren oder nicht, aber das war zu diesem Zeitpunkt auch nicht das Thema. A. hatte heroisches geleistet. Und im Traum kuschelte er sich an den Wolf.

 

Mit den ersten Sonnenstrahlen sprang er von seinem Lager. Er stürzte hinaus um zu sehen, ob alle ein Traum gewesen sei, ob die weißen Schafe noch da seien. Sie waren da und erwarteten ihn. So manch eines hatte ein schwarzes Gesicht, oder irgendwo  einen dunklen Fleck im Fell oder an den Beinen!

 

(Diese Geschichte wurde in der Zeit der Reinkarnationstherapie bei Thorwald Detlefsen von mir geschrieben)

 

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Gudrun ist diplomierte Qi-Gong-Lehrerin und Naturheiltherapeutin lebt und arbeitet in Wien und Salzburg. Neben Tao und Chi Nei Tsang hat sie sich auf Familienaufstellungen spezialisiert.

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